Erinnerungen an Wilknitt

von Ernst Pietraß (1905-1988)

Meine Erinnerungen an Wilknitt reichen weit in meine Kindheit zurück. Als ich vier Jahre alt war, nahm mich meine Mutter zum ersten Mal mit auf eine Besuchsreise in ihre Heimat. In Lichtenfeld angekommen, gingen wir wegen des Regens in den Warteraum. Nach kurzer Zeit ging die Tür auf, und Onkel Max kam in einem schwarzen Regenmantel herein, um uns abzuholen. Von der ganzen Reise ist dieses Bild als einziges haften geblieben, abgesehen von zwei Situationen, die mich sehr aufgeregt haben. Eines Tages war Besuch aus Schlepstein da, der zur Nacht blieb, und ich sollte mit Cousine Grete in einem Bett schlafen, wogegen ich mich heftig gesträubt habe. Auf der Rückfahrt mußte Mutter in Rothfließ zum Fahrkartenschalter und ließ mich im Zug bei einem Bahnbeamten zurück. Da hatte ich eine Höllenangst, daß der Zug ohne sie abfahren könnte.

Zum zweiten Mal kam ich mit meinen Eltern und Bruder Alfred auf der Flucht nach Wilknitt. Anfang Dezember 1914 fuhren wir bei schönem Herbstwetter mit zwei Wagen bei zweimaliger Übernachtung bis dorthin. Während die Eltern im Februar nach Martinshagen zurückfuhren, blieben wir beide bis Mitte Juli in Wilknitt. Das war eine schöne Zeit für uns. In der Obhut der Tanten haben wir die Eltern kaum vermißt. Großvater führte den Betrieb. Vor ihm hatten wir großen Respekt und versuchten, ihm nach Möglichkeit nicht zu begegnen, wenn er an seinem Stock über den Schleusendamm ging. Tante Hulda erledigte das Geschäftliche. Abends zählte sie das eingenommene Silbergeld. Wenn wir morgens aufstanden, saß Großvater mit den Müllerburschen am Frühstückstisch. In diesem Raum stand ein großes schwarzes Ledersofa, auf dem Alfred und ich nach Herzenslust herumtoben durften. An die Großmutter erinnere ich mich nur gelegentlich eines Besuchs an ihrem Krankenbett.

Anfang Januar wurde ich in Wehlau zur Schule angemeldet. Die Kinder aus dem Insthaus nahmen mich mit. Wenn wir morgens losgingen, war es noch dunkel. Es war ein schneereicher Winter und der Schulweg beschwerlich. Doch kann ich mich nicht erinnern, daß ich einmal gefehlt habe. Als es dann Frühling wurde und die Lerchen sangen, war der Schulweg das Schönste. Bei dem alten Lehrer Powitz haben wir nicht gerade viel gelernt. Unser Weg führte uns auch über den Roßschen Hof, und da steht mir Lucie vor Augen, wie sie an einem sonnigen Morgen jung und blühend in der Haustür stand. Im Juli kam Karl Maibaum auf Urlaub, und er übernahm es, uns nach Martinshagen zurückzubringen.

Als ich dann mit Willi in Königsberg zur Schule ging, haben wir öfter die Verwandten besucht, in Kukehnen, Hasselpusch und am meisten in Wilknitt, wo es doch immer am schönsten war. Im Herbst 1923 begann meine Lehrzeit als Müller. Ein halbes Jahr war ich bei Patschke, Mühle Bahnau, dann ein halbes Jahr in Wilknitt und 1 1/2 Jahre bei Schadwinkel in Pr. Eylau. An die Wilknitter Zeit habe ich viele Erinnerungen. Da war der geheimnisvolle Wald, den ich mit der Flinte durchstreift habe, und der Fluß, in dem ich baden und angeln konnte. Ein besonderes Erlebnis war das Fischen, als der Teich abgelassen wurde. Der größte Karpfen wog 14 Pfund.

Die Mehlsacker Heide, ein großes Waldgebiet, habe ich auf dem Rücken des Pferdes kennengelernt. Einmal machte ich einen Ritt über 60 km als ich aus Wogenap bei Elbing von Alfred Muntau ein Pferd abholte. Da waren liebe Menschen, die mich umsorgt haben und zwei kleine Kusinen, die sehr an mir hingen und mir viele Fragen stellten. Gern erinnere ich mich an den warmen Junitag, an dem Annita das Licht der Welt erblickte. Gern denke ich zurück an die schönen Familienfeiern, an denen ich teilgenommen habe und die sich immer recht gemütlich und harmonisch gestalteten. Wilknitt war meine zweite Heimat, landschaftlich anders als die masurische, aber ebenso schön. Mögen die alten Eichen dort noch lange rauschen!